Was ist das Anarchist Black Cross und wie ist es entstanden? Hier findest du einen spannenden Text, der darauf eingeht. Der Text ist aus der Broschüre “Starting an Anarchist Black Cross Group: A Guide” bzw. der deutschsprachigen Übersetzung von ABC Berlin.
Was ist das Anarchist Black Cross?
Das Anarchist Black Cross ist ein internationales Netzwerk von anarchistischen Gruppen und Individuen, die sich in praktischer Gefangenenunterstützung und anderen Antirepressionskämpfen engagieren.
Gefangenenunterstützung
Wir unterstützen revolutionäre, anarchistische und alle anderen Gefangenen, die im Gefängnissystem eingesperrt sind. Wir unterstützen und veröffentlichen Informationen über Bemühungen von Gefangenen sich zu organisieren und dem System von drinnen zu widerstehen. Unsere Mittel sind Briefe, Besuche, materielle Unterstützung, sowie Demonstrationen, Kampagnen, das Verteilen von Informationen über Gefangene, über die Realität in Knästen und über das dahinterstehende Klassensystem, das die Knäste hervorbringt. Geldbeschaffung und materielle Unterstützung übernehmen dabei Schlüsselrollen. Viele von uns unterstützen Gefangene und andere Betroffene von Repression auch emotional, wobei Freund*innenschaft und Solidarität unsere gewählten Waffen sind. In allem was wir tun versuchen wir Verbindungen im und außerhalb vom Knast zu knüpfen.
Anti-Repression und die Verteidigung von Bewegungen
Der Staat und diejenigen, die versuchen Befreiungsbewegungen zu zerstören, versuchen dies auf vielen Ebenen. Das Anarchist Black Cross Netzwerk zielt einerseits darauf ab, (Infra-)Struktur aufzubauen, die es ermöglicht Repression entgegen zu treten, so dass wir als Bewegung weiterhin für Befreiung kämpfen können und andererseits Gefährt*innen zu unterstützen, die von staatlicher Gewalt getroffen wurden. Viele ABC-Gruppen organisieren langfristige Solidaritätskampagnen für die Freiheit und die Unterstützung von Menschen, die von unterschiedlichen Repressionswellen betroffen sind. Tatsächlich gründen sich viele ABC-Gruppen aufgrund konkreter Repressionsfälle in ihrer Region. Die Verteidigung von Bewegungen und Communities kann viele Dinge beinhalten. ABC war in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichsten Widerstandsformen aktiv – von legalen Verteidigungskampagnen und Kommitees, über physische Solidarität bei Polizeiübergriffen während Fabrik- oder Schulbesetzungen, als Schutz bei Angriffen von Rassist*innen oder Faschist*innen, und sogar im Engagement in bewaffneten Verteidigungskämpfen. ABC-Gruppen organisieren auch oft Workshops, Zines oder anderes Material, um Menschen Wissen über Repression, Sicherheitskultur und Solidarität nahe zu bringen. ABC existiert, um Individuen, Gruppen und Gemeinschaften emotional, physisch und psychisch in ihren Kämpfen zu unterstützen. Letztendlich wollen wir die Stärke unserer Bewegung von Innen heraus sicherstellen. Wir wollen Kämpfe unterstützen, die eine Gefahr für Staat, Kapitalismus, weiße Dominanz, Patriarchat und andere Formen der Unterdrückung darstellen.
Wie ist das Anarchist Black Cross entstanden?
Die ABC-Föderation in den USA hat einen historischen Überblick über die Geschichte von ABC geschrieben, die wir hier teilen möchten: Seit Beginn des 20. Jh. ist ABC an vorderster Front aktiv, um Menschen zu unterstützen, die für den Kampf für Freiheit und Solidarität inhaftiert sind. Bis vor Kurzem war die Geschichte der ABC-Bewegung verloren in den Seiten der Zeit. Die jüngeren Generationen von ABC-Kollektiven standen ohne Wurzeln da und hatten wenig bekannte Informationen über diese Organisation zur Verfügung. Aber jetzt können wir spezifische Fragen in Bezug auf unsere Herkunft beantworten. Wir haben be-gonnen, unsere Wurzeln wieder zu entdecken. Die Frage nach dem Gründungsjahr des Anarchist Black Cross, auch bekannt als das Anarchist Red Cross (ARC), nagte lange an uns. Entsprechend den Aussagen von Rudolph Rocker, ehemaliger Schatzmeister des ARC in London, wurde ABC in der „hektischen Periode zwischen 1900 und 1905“ gegründet. Trotz seiner Beteiligung in den frühen Phasen, haben wir das Gefühl, dass die Daten nicht all zu genau sind. Laut Harry Weinstein, einem der zwei Personen, die die Organisation gegründet haben, entstand das ARC nach seiner Haft im Juli oder August 1906. Nach seiner Entlassung versorgten Weinstein und andere Menschen Anarchist*innen, die ins Exil nach Sibirien verbannt wurden mit Kleidung. Das waren die frühen Anfänge des ARC. Weinstein setzte seine Bemühungen fort, bis zu seiner Ankunft in New York 1907. Einmal angekommen, half er das Anarchist Red Cross New York aufzubauen. Andere Berichte datieren das Gründungsjahr auf 1907. Im Juni und August 1907 kamen Anarchist*innen und sozialistische Revolutionär*innen auf zwei Konferenzen in London zusammen. Es wird angenommen, dass Vera Figner, eine sozialistische Revolutionärin, sich mit Anarchist*innen getroffen hatte, um die Notlage der politischen Gefangenen in Russland zu diskutieren. Nach dem Treffen gründete sich das Anarchist Red Cross in London und New York. Zusätzlich zu dieser Information wissen wir, dass Mitglieder der Organisation in Russland zwischen 1906 und 1907 vor Gericht standen. Deswegen glauben wir, dass das wahrscheinlichste Datum der Gründung des ARC Ende 1906 oder Anfang 1907 für die Russische Sektion und Juni oder August 1907 für die internationale Sektion war. Wie auch immer, der Grund für die Schaffung der Anarchist Red Cross ist unumstritten. Es gründete sich nach einem Bruch mit dem des Political Red Cross (PRC). Das PRC wurde von Sozialdemokrat*innen kontrolliert und lehnte es ab anarchistische oder sozialrevolutionäre politische Gefangene zu unterstützen, obwohl sie fortlaufend auch Spenden von Anarchist*innen und Sozialrevolutionär*innen erhielten. Wie ein*e ehemalige*r politische*r Gefangene*r und Mitglied des Anarchist Red Cross sagte: „In einigen Knästen wurden kaum Unterscheidungen zwischen Anarchist*innen und anderen politischen Gefangenen gemacht, aber in anderen wurde Anarchist*innen jegliche Hilfe versagt.“ Das neu geformte ARC empfand dies als kriminell und gelobte in allen Knästen in denen Anarchist*innen in der Mehrheit waren, alle anarchistischen und sozialrevolutionären politischen Gefangenen zu unterstützen. Wegen ihrer Unterstützung für politische Gefangene wurden einige Mitglieder der Gruppe vom zaristischen Regime verhaftet, gefoltert und getötet. Die Organisation wurde als illegal erachtet und die Mitgliedschaft allein reichte aus, um Menschen zu verhaften und im Artvisky Gefängnis einzusperren, einem der schlimmsten Arbeitsknäste Sibiriens. ARC-Mitglieder und Gefangene, denen es gelang, dem Knast zu entkommen, flohen aus Russland und organisierten sich in London, New York, Chicago und anderen Städten in Europa und Nord Amerika. Die Revolution von 1917 war ein Grund zum feiern für alle sozialistischen, anarchistischen und kommunistischen Gemeinschaften. Das ARC löste sich auf und seine Mitglieder machten Pläne wieder nach Russland zurück zu kehren, in der Hoffnung an der neuen Gesellschaft teilzunehmen. Traurigerweise wurden sie bei ihrer Rückkehr mit der bolschevistischen Repression begrüßt, die der aus der zaristischen Era ähnelte. Nach ein paar Jahren des Winterschlafs tauchte die Gruppe wieder aus der Versenkung hervor, um die politischen Gefangenen in der neuen bolschevistischen Gesellschaft zu unterstützen. Und wieder wurde die Organisation verboten, und wieder bedeutete eine Mitgliedschaft in ihr Gefangenschaft und/oder Tod. Während des russischen Bürger*innenkriegs wurde der Name ARC geändert in Anarchist Black Cross, um Verwechselungen mit dem Internationalen Roten Kreuz zu vermeiden, welches ebenfalls Katastrophenhilfe im Land organisierte. Zu dieser Zeit organisierte ABC Selbstverteidigungseinheiten, um den politischen Überfällen durch die Kossaken und den roten Armeen etwas entgegen zu setzen. In den darauf folgenden sieben Jahrzehnten ging die Arbeit unter unterschiedlichen Namen weiter. Allerdings verstand sich die Gruppe immer als Teil des Anarchist Red Cross/Anarchist Black Cross. Die Unterstützung durch ABC‘s verbreitete sich in alle vier Ecken des Globus. Was zuvor eine typisch russisch-jüdische Organisation war, hatte nun viele unterschiedliche Gesichter und Ethnien. In den 1960ern wurde ABC in Großbritannien durch Stuart Christie und Albert Meltzer reformiert. Dabei wurde der Fokus auf die Unterstützung der anarchistischen Gefangenen in Francisco Franco‘s Spanien gelegt. Der Grund für diese Reform waren Christie‘s Erfahrungen im spanischen Knast und damit wie wichtig es hier war Essenspakete zu bekommen. Zu dieser Zeit gab es keine internationale Gruppe, die für spanische Anarchist*innen und Widerstandskämpfer*innen in den Knästen eintrat. Die erste Aktion der wiederbelebten Gruppe in Großbritannien war Miguel García García, den Christie im spanischen Knast kennengelernt hatte, aus Spanien heraus zu bringen, nachdem dieser aus dem Knast entlassen worden war. Danach schloss dieser sich der Gruppe an und arbeitete als internationaler Vertreter, um weitere Gefangene aus den Knästen zu holen. In den 80ern wuchs das ABC. Neue Gruppen gründeten sich in Nordamerika. In den Vereinigten Staaten wurde der Name ABC von verschiedensten autonomen Gruppen am Leben gehalten, die über das ganze Land verteilt waren und eine große Bandbreite von Gefängniskämpfen unterstützten. Die 90er und 2000er brachten diverse ABC-Gruppen in Nord Amerika zu Tage (ABCC, ABCN, ABCF). Die Beziehungen zwischen den einzelnen ABC‘s wurden immer eher als mühsam empfunden. Die „Break the Chain“ Konferenz im August 2003, zusammen mit anderen parallel stattfindenden Diskussionen führte zu einer Verbesserung der Arbeitsbeziehungen zwischen dem ABCF und dem ABCN (Das ABCC war eher ein kurzlebiges Projekt, welches in den frühen 90‘ern eingestellt wurde). Auch in Europa gab es jahrzehntelang diverse ABC-Gruppen.